Rudi-Stephan-Gymnasium setzt Zeichen im Netz gegen Verfassungsfeinde
„Die NPD strebt nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. […] Dieses politische Konzept missachtet die Menschenwürde […] und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar.“ So erläutert das Bundesverfassungsgericht im seinem Urteil 2017 die menschen- und demokratieverachtende Ideologie der Partei. Dass es damals nicht zum Verbot kam, lag am Ende an der Tatsache, dass die Karlsruher Richter keine „konkreten Anhaltspunkte“ sahen, „die es zumindest möglich erscheinen lassen“, dass das Handeln der verfassungsfeindlichen Partei „zum Erfolg führt.“
Als am 6. Juni der so genannte „Tag der deutschen Zukunft“ von ebenjener Partei in Worms angesetzt wurde, bestand Corona-bedingt für alle aufrechten Demokraten die Hoffnung, die unsägliche Veranstaltung werde aufgrund von Hygiene-Bestimmungen zur Eindämmung des Virus nicht stattfinden können, so verfügte es zunächst die Stadt Worms. Doch auch das müssen aufrechte Demokraten gelten lassen: Das Oberverwaltungsgericht Koblenz machte den Weg unter Auflagen frei für die fremdenfeindliche Demo. Auch für Rassisten gilt die in Artikel 8 GG festgelegte Versammlungsfreiheit.
Die Klasse 10a des Rudi-Stephan-Gymnasiums war Mitte Mai gerade aus dem Corona-Lockdown zurückgekehrt, als Paula Niekisch auf ihren Sozialkundelehrer Kai Berkes zukam und darum bat, sich mit der Veranstaltung der rassistischen Partei zu beschäftigen, um etwas dagegen zu setzen. Es entspann sich eine Debatte mit nur einer Hälfte der Klasse, was man tun könne, die andere Hälfte saß virusbedingt schließlich zu Hause und war erst in der folgenden Woche mit dem Präsenzunterricht an der Reihe. Das war keine optimale Situation, um eine konzertierte Aktion gegen rechten Hass zu planen, aber man hatte ja noch drei Wochen Zeit und da am RSG bereits vor Beginn des Schul-Lockdowns alle Schülerinnen und Schüler mit E-Mail-Adressen ausgestattet waren, sollte die Kommunikation über Chat-Kanäle in der Teams-App die mangelnde Präsenz aller problemlos ersetzen können. So dachte man.
Die Frage, ob man sich den rechten Demonstranten an betreffendem Samstag persönlich entgegenstellt und sich den Gegendemonstranten anschließt, wurde ebenso ins Auge gefasst wie eine Aktion, bei der man nicht vor Ort erscheinen würde. Schließlich gab es genügend Gründe, die Aktion gegen Rechts ins Internet zu verlegen: Ein erster war die Ende Mai noch ungeklärte Frage, ob die Aktion überhaupt stattfinden darf. Alicia Anyanwu, Schülerin der 10a, plädierte deutlich für die Aktion im Netz: „Damit zeigen wir Kante, unabhängig davon, ob die marschieren oder nicht.“ Doch welches Medium wählen Schülerinnen und Schüler heute, um sich zu positionieren? Für Johanna Skopnik und ihre 10a war dies klar: „Facebook ist eher was für unsere Eltern, wir sind eigentlich alle auf Instagram unterwegs.“ Die nächste Frage, die zu klären war: Wie soll der Hashtag aussehen, mit dem man versuchen würde, eine gewisse Strahlweite zu generieren? Zehntklässler André Stößer stieß bei seiner Suche, wieso die Rassisten sich ausgerechnet den 6. Juni ausgesucht hatten, auf den D-Day. 1944 stellte dieser ausgerechnet den Beginn der alliierten Invasion in der Normandie dar und leitete bekanntlich den Niedergang der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft in Europa ein. „Das kann ja wohl kaum ein Grund für die gewesen sein“ schmunzelte Stößer und setzte das Motto der Rudi-Kampagne aufs Gleis: Aus dem D-Day wurde der D-emocracy-Day und weil es bei Instagram keine Bindestriche gibt, wurden diese von Unterstrichen ersetzt; Hashtag davor, fertig: Der #D_emocracy_Day am 6.6.2020 war geboren.
„Das Problem, das wir hatten,“ ergänzt Sozialkundelehrer Kai Berkes, „war, dass immer, wenn in der Woche drauf der andere Teil der 10a in die Schule kam, neue Bedenken angemeldet wurden und der Stand von Diskussionen und Entscheidungen teils einkassiert und wieder neu aufgerollt werden musste.“ Welches Motiv wählen wir zum Hashtag? Welche Botschaft wollen wir außerdem transportieren? Werden die Schülerinnen und Schüler der anderen Schulen das auch teilen, wenn zu deutlich wird, dass es eine Aktion der Rudis ist? Wie sollen wir das verbreiten, wenn die meisten nur nicht-öffentliche Instagram-Konten haben? Ist die Aktion dann überhaupt noch sinnvoll? Derartige Fragen warfen die Unternehmung immer wieder zurück und zeigten vor allem auch, dass diese Generation der Jugendlichen zwar im Internet schwimmt wie der Fisch im Wasser, aber die Diskussion im Online-Klassenforum, das dafür ja zur Verfügung stand, wurde einfach nicht genutzt. „Der Ort der Schülerpolis ist für die Jugendlichen offenbar immer noch die Agora des Klassenraums und nicht das Internet“ konstatiert der Sozialkundelehrer etwas desillusioniert über die schönen neuen Möglichkeiten.
Zu guter Letzt entschied und verwarf man so einiges: Das Bild wurde die Europafahne, die vor dem Rudi-Stephan-Gymnasium gehisst ist. Aus den ursprünglich 12 Sternen darauf, die jeweils mit einem Grund- oder Menschenrecht verbunden werden sollten, blieben in der Diskussion im Klassenraum aus Gestaltungsgründen nur noch sieben Favoritenrechte der 10a im Rund der Sterne: „Bei der Abstimmung darüber spielte natürlich auch eine Rolle, zu welchem Anlass wir das Zeichen setzen wollten. Darum hielten wir das Recht auf Asyl in Artikel 16 GG oder unabhängige Richter, wie sie in Artikel 97 GG festgelegt sind, auch angesichts der aktuellen Entwicklungen in Europa für angebrachter als z.B. das Recht auf Eigentum oder das Petitionsrecht“, erklärt Emma Fink, die mit ihrem Entwurf schließlich den Hashtag mit Bild, Text, Grundrechten und Botschaft gestaltete. „Aber es ist eigentlich eine Zumutung, sich zwischen einzelnen Grundrechten entscheiden zu müssen. Auch das war jedem von uns klar,“ gibt die Zehnerin des RSG zu bedenken.
Gepostet wurde der Hashtag schließlich über die Instagram-Seite der Schülervertretung des RSG sowie über die Schulhomepage. Die Botschaft, die die Rudis am 6.6.2020 zu ihrem #D_emocracy_Day in die Welt sendeten, lautet: „Gegen Rassismus, gegen Verfassungsfeinde! Für die Freiheit, für den Geist der Gemeinschaft Europas. Wormser Schülerinnen und Schüler pro Demokratie!“
Kai Berkes
P.S.: Zu der Demonstration kamen am 6.6.2020 nicht mehr als 30 Rechtsradikale. Ihnen gegenüber standen laut Informationen des SWR „rund 700 Gegendemonstranten“. Die Reichweite des #D_emocracy_Days kann nicht genau beziffert werden. Dennoch schaffte er es mittels der Schüler der 10a sogar bis in die USA. Dort landete er auf der populären Meme-Seite @memecause, der sich andere Meme-Seiten mit einer Gesamtreichweite von über 300.000 Followern anschlossen.